Am ersten Samstag im Juni findet in Deutschland jedes Jahr der „Aktionstag Organspende“ statt. Die Entscheidung für oder gegen eine Organentnahme will allerdings gut überlegt sein. Es gibt dabei einiges abzuwägen – nicht nur für uns, sondern auch unseren Angehörigen zuliebe.

Die Entscheidung für oder gegen die Organentnahme nach unserem Ableben will gut überlegt sein. Foto: jasmin777 / Jonathan Sautter / pixabay
Spätestens seit dem 2012 bekannt gewordenen Skandal um manipulierte Wartelisten ist die Organspendenbereitschaft gesunken – sie bewegt sich in Deutschland seitdem zwischen 800 und 900 Spendern pro Jahr (Quelle: dso). Erst 2018 erfolgte wieder ein leichter Anstieg. Doch nicht nur die Frage, wie die gespendeten Organe letztendlich zugeteilt werden und wie gerecht es dabei zugeht, beeinflusst die Entscheidungsfindung potentieller Spender. Abgesehen von den praktischen Fakten stehen die emotionalen und ethischen Aspekte ganz oben auf der Liste.
Gesetzliche Regelung: Organspende Deutschland
Jedes Land regelt den Umgang mit Organspenden individuell. In Österreich sind beispielsweise alle Personen automatisch Spender, insofern sie nicht ausdrücklich ein Widerrufsformular ausfüllen und bei der zuständigen Gesundheitsbehörde bzw. im Widerspruchsregister hinterlegen.
Die Organspende Deutschland hat dagegen mit dem Transplantationsgesetz (TPG) eine andere Regelung. Laut TPG ist das Vorliegen unserer schriftlichen Erklärung (in Organspendeausweis, Patientenverfügung etc.) unabdingbare Voraussetzung zur Durchführung einer Organentnahme.
Haben wir selbst im Vorfeld keine schriftliche Wahl getroffen, müssen die nächsten Angehörigen in unserem Sinne entscheiden. Das sind gemäß §1a Nr. 5 TPG der Ehegatte, eingetragene Lebenspartner, volljährige Kinder, Eltern, Geschwister oder Großeltern. An dieser Stelle zählt unser (mutmaßlicher) Wille und nicht deren persönliche Auffassung zur Organspende. Haben wir jedoch weder darüber gesprochen noch etwas schriftlich festgehalten, weiß niemand, wie wir dazu stehen. Dann fassen die Angehörigen den Entschluss letztendlich anhand ihrer eigenen Vorstellungen.
Hier verdeutlicht sich die Krux: Setzen wir uns mit dem Thema zu Lebzeiten nicht auseinander, „vererben“ wir die Last der Entscheidung unseren Liebsten – und bringen sie damit in eine zusätzlich belastende Situation.
Gut zu wissen
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert aktuell eine Widerspruchslösung nach österreichischem Vorbild. Er möchte auch in Deutschland die Regelung durchsetzen, dass Menschen automatisch Organspender sind, wenn sie zu Lebzeiten nicht aktiv widersprechen.

Der Sterbeprozess in seiner Gesamtheit ist abseits der physischen Abläufe nicht bis ins letzte Detail belegbar. Foto: stocksnap / Ulrike Leone / pixabay
Organspende Deutschland – physische Bedingungen
Nicht jeder Todesfall erfüllt die Voraussetzungen für eine Organspende. Nur wenn ein unumkehrbarer Ausfall aller Hirnfunktionen eintritt (Hirntod), den zwei erfahrene Ärzte feststellen, kann eine Organspende beim Vorliegen der Einverständniserklärung erfolgen. Das Herz-Kreislauf-System wird dann bis zur Organentnahme künstlich aufrechterhalten, damit die Organe funktionsfähig bleiben. Meistens ist die Reihenfolge jedoch umgekehrt: Zuerst tritt der Herzstillstand ein und im Anschluss daran der Hirntod. In diesen Fällen ist eine Organspende, unabhängig vom Willen des Sterbenden, aus physischen Gründen ausgeschlossen.
Gut zu wissen
Hier finden Sie eine Übersicht zum Ablauf einer postmortalen Organspende.
Emotionen und die weißen Flecken der Wissenschaft
Den Personen, die unsere Organe erhalten, schenken wir eine zweite Chance. Wir sind post mortem also lupenreine Lebensretter und brauchen die Organe nach unserem Ableben ohnehin nicht mehr – oder? Wenn es nur so einfach wäre.
Einerseits ist richtig: Organspenden retten Menschenleben. Das ist unstrittig, bewundernswert und ein Segen für alle Empfänger und deren Familien. Doch sollten wir bei unserer persönlichen Entscheidungsfindung trotzdem alle Seiten betrachten und uns genau über das Vorgehen informieren. Beispielsweise gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, welche Prozesse bei einem hirntoten Menschen tatsächlich ablaufen. Medizin und Wissenschaft sind der Überzeugung, dass hirntote Personen nichts mehr empfinden, da die Voraussetzung für Empfindungen jeglicher Art ein funktionierendes Gehirn ist. Das menschliche Gehirn gibt auf der anderen Seite jedoch immer noch viele Rätsel auf. Niemand kann mit absoluter Gewissheit sagen, was in einem Sterbeprozess als Gesamtheit betrachtet – abseits der physischen Abläufe – im Detail geschieht.
Prof. Dr. Ralf Stoecker, Medizinethiker der Universität Bielefeld, sieht hirntote Patienten in einem Zwischenstadium von Leben und Tod. Seiner Meinung nach müsse man sie einerseits wie Lebende behandeln, andererseits könne man ihnen kein Leid mehr antun, weil sie keine Zukunft mehr haben. Dadurch sei eine Organentnahme ethisch zu rechtfertigen. Eine ausführliche Stellungnahme finden Sie hier: Der Hirntod aus ethischer Sicht.
Körperliche Prozesse und die Rolle der Angehörigen
Lassen wir die „höhere mentale“ sowie die ethische Ebene außer Acht, ist der natürliche körperliche Ablauf nach einem Hirntod (Ausfall aller Hirnfunktionen) der darauf unweigerlich folgende klinische Tod, also der Kollaps des Herz-Kreislaufsystems inklusive Atmung, Puls und Herzschlag. Anschließend tritt der biologische Tod ein – alle Vitalfunktionen des Körpers wie Reflexe und Stoffwechselprozesse kommen zum Stillstand. Die Verwesung setzt sein. Bei einer Organentnahme greift die Medizin vor dem Eintritt des klinischen Tods in den Prozess ein und erhält das Herz-Kreislaufsystem künstlich am Leben – um die Organe transplantationsfähig zu halten.
Ein nicht zu unterschätzender Punkt ist auch die Sterbebegleitung durch die Angehörigen. Im Falle einer Organentnahme entfällt die Möglichkeit, dem Sterbenden bis zum Atemstillstand beizustehen und dessen Hand zu halten. Ist ein Patient nachweislich hirntot, sieht er für Außenstehende (durch den Einsatz medizinischer Geräte) weiterhin lebendig aus. Er atmet und scheint auf den ersten Blick lediglich zu schlafen. Das kann den Abschied und die Akzeptanz der Endgültigkeit für manch Hinterbliebenen zusätzlich erschweren.

Organspende bei Kindern – die Entscheidung liegt bei den Eltern. Foto: Darko Stojanovic / free-photos / pixabay
Organspende: ein Geben und Nehmen?
Stellen wir Leber, Niere & Co. selbst nicht zur Verfügung, sei konsequenterweise die Frage in den Raum gestellt: Wie verhalten wir uns, wenn wir oder unsere Familienangehörige eine Spende benötigen? Für die Gesetzeslage der Organspende Deutschland ist dieser Gedanke irrelevant, denn ein Spender kommt ebenso als Empfänger infrage wie ein Nichtspender. Hier zählen unter anderem der Wartelistenplatz und damit die Dringlichkeit sowie die Erfolgsaussichten auf Organverträglichkeit und Gelingen der Transplantation des Einzelnen. Doch ist es zumindest eine moralische Überlegung, die jeder für sich selbst beantworten muss.
Spezialfall Kinderleben
Sind die eigenen Kinder betroffen, befinden wir uns in diesem Moment im absoluten Ausnahmezustand. Wir stehen unter Schock und sind kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen – geschweige denn, eine derart einschneidende Entscheidung wie die Organspende zu treffen. Leider spielt der Faktor Zeit hier eine große Rolle. Lassen Sie sich trotz allem niemals unter Druck setzen oder gar ein schlechtes Gewissen machen. Es geht um Ihr Kind! Bei der Geburt zusammen, im Leben zusammen und erst recht an der Schwelle zum Tod. Niemand darf Ihnen dieses Privileg nehmen.
Keine Mutter und kein Vater möchte über den Tod im Vorfeld nachdenken, denn Kinder sollten die Welt nicht vor den Eltern verlassen. Und trotzdem passiert es – jeden Tag. Treffen wir deshalb vorab eine bewusste Entscheidung, wie wir mit dem Thema Organspende im Ernstfall umgehen – für uns und unsere Kinder. Anschließend können wir den Gedanken daran getrost in die hinterste Ecke unseres Herzens schieben – und die Zeit mit den Lieben in vollen Zügen genießen.
Unser Leben, unser Tod, unsere Entscheidung
Am Ende des Tages muss jeder von uns selbst festlegen, wohin die innere Stimme ihn führt und welcher Entschluss das persönliche Werteverständnis widerspiegelt.
Hier können Sie Ihren Organspendeausweis bei Bedarf direkt ausfüllen und ausdrucken: Organspendeausweis.pdf
Alternativ ist auch eine Bestellung des Dokuments unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 / 90 40 400 möglich.
Antworten auf weitere Detailfragen finden Sie unter bundesgesundheitsministerium.de