Stimmungsmache im Internet ist kein neues Phänomen. Bei vielen Fragen spaltet sich die Gesellschaft in zwei Lager, insbesondere in den sozialen Netzwerken: Entweder sind wir für etwas oder dagegen. Auch die aktuelle Coronakrise zeigt deutlich, dass die digitale Welt ein extreme und teils zügellose Eigendynamik entwickelt. Wie überleben wir in diesem Umfeld, ohne emotional baden zu gehen?

Stimmungsmache 2.0 – überleben in der digitalen Welt
Stimmungsmache im Netz ist weit verbreitet. Warum ist das so und wie gehen wir damit um? Foto: Stefan Keller / pixabay

Stimmungsmache schlägt Zielerreichung

„Was laberst du für nen Schwachsinn? Informier dich mal richtig, sonst halt die xxxxxx!“ Solche oder ähnliche Kommentare finden wir unter unzähligen Posts, die aktuelle Geschehnisse „diskutieren“. Mal ehrlich: Erwarten die Verfasser ernsthaft, ihr virtuelles Gegenüber damit von der eigenen Meinung zu überzeugen? Nein, denn darum allein geht es längst nicht mehr.

Bereits seit Jahren verführen vor allem die sozialen Netzwerke viele Menschen zum anonym ausgelebten Extremismus. Im Schatten von Avataren und Nicknames fällt es leicht, schonungslos die Stimmungskeule zu schwingen. Dabei ist es beinahe egal, um welches Thema es sich dreht: Entweder wir sind dafür oder dagegen. Entweder wir stehen links oder rechts, auf Seiten der Klimaschützer oder der Umweltvernichter, isolieren uns komplett oder feiern Partys im Zeichen von Corona. Der goldene Mittelweg ist scheinbar aus der Mode gekommen und dafür gibt es mehrere Gründe.

Stimmungsmache in der Anonymität des Internets
Versteckt hinter Avatars und Nicknames lässt es sich gut hetzen. Foto: Charles Etoroma / unsplash

Stimmungsmache im Kampf um Sichtbarkeit

Grautöne polarisieren weit weniger stark als reines Schwarz-Weiß-Denken, was insbesondere in der digitalen Welt schnell den (beruflichen) Tod durch Sichtbarkeitsverlust bedeutet. Gut zu beobachten ist das bei VIPs, deren Geschäftsmodell ausschließlich auf dieser Tatsache beruht und ohne dessen sie keinerlei Einkünfte hätten. Prominente wie beispielsweise Oliver Pocher haben erkannt: Je tiefer das Niveau und je demütigender die Aktionen und Handlungen, desto mehr Applaus und Lacher gibt es von der einen Seite und Shitstorms von der anderen. Beides ist ihm recht, da es in weiteren Aufträgen von Fernsehen und Presse mündet, was wiederum seine Kassen klingeln lässt.

Auch die privaten Sender springen gern auf diesen Zug auf und übertreffen sich gegenseitig mit Formaten wie dem Dschungelcamp, DSDS, Big Brother, dem Bachelor und vielen mehr. Eines haben sie dabei alle gemein: Der Ekel-, Fremdschäm- oder Empörungsfaktor muss von Folge zu Folge, von Staffel zu Staffel steigen. Ansonsten verschwimmt das so schön polarisierende Schwarz-Weiß in kürzester Zeit zum tristen Grau und verliert die Aufmerksamkeit des Publikums. Ergebnis: Die Einschaltquoten sinken und der Sender legt noch eins drauf, um wieder in den Fokus zu rücken. Jeder kann sich selbst ausmalen, wohin diese sich immer schneller drehende Schraube am Ende führt, und dass die dadurch salonfähig gewordenen Respektlosigkeiten nachhaltige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, die Menschlichkeit und das soziale Miteinander haben.

Ein Großteil der Zuschauer sieht sich diese Formate allerdings nicht mit boshafter Absicht an. Die meisten möchten einfach nur vom stressigen Alltag abschalten, ihren Kopf auf „Standby“ stellen und nicht zuletzt zur beruhigenden Erkenntnis gelangen, dass das eigene Leben im Hamsterrad doch nicht so schlimm ist, wie es sich zeitweise anfühlt. Dieses Verhalten ist keineswegs verwerflich, sondern zutiefst menschlich – es ist ein Rettungsanker. Welche Geschäftspraktiken wir damit unterstützen und fördern, sollte uns jedoch bewusst sein.

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Der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit ist ein Ur-Instinkt
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit liegt in den menschlichen Genen. Foto: Cocoparisienne / pixabay

Gruppenzugehörigkeit – ein Ur-Instinkt

Wir möchten dazugehören – das liegt in unseren Genen. Zu Zeiten der Säbelzahntiger war es überlebenswichtig, einer möglichst großen Gruppe anzugehören. Stand jemand allein da oder wurde verstoßen, kam das einem Todesurteil gleich. So elementar ist die Bedeutung heutzutage freilich nicht mehr, doch schlummert das Bedürfnis danach weiterhin in unseren Ur-Instinkten. Das ist übrigens auch eine Erklärung dafür, warum es vielen Menschen schwerfällt, nein zu sagen und Forderungen anderer abzulehnen. Anonym im Netz dagegen geht es uns wesentlich leichter von der Hand, unsere Meinung ungefiltert und schonungslos in die Welt zu tragen. Kein Wunder: Die Konsequenzen, die unser virtuelles Verhalten auf das reale Leben hat, sind meist überschaubar. Wir können uns abreagieren und all das zum Besten geben, was wir uns sonst nicht trauen.

Wer dabei nicht mitmacht, zieht schnell den Unmut beider Seiten auf sich. Rufe nach der klaren Entscheidung für eine Sichtweise werden laut: „Willst du nun zu uns gehören oder zu denen?“ Doch es gibt nicht nur den Zustand schwarz und weiß, dazwischen liegt eine breite Palette an bunten Farben.

Stimmungsmache im digitalen Leben – andere Blickwinkel unerwünscht
Entweder dafür oder dagegen, der Mittelweg hat ausgedient. Foto: Nata Figueiredo / Kareya Saleh / unsplash

Der Umgang mit Stimmungsmache ist unsere Entscheidung

Oft sind Streitgespräche in sozialen Netzwerken wenig zielführend, sondern lediglich ein Beharren auf dem eigenen Standpunkt und Unverständnis für abweichende Ansichten. Die einen verpacken solch einen digitalen Schlagabtausch besser als andere. Gehören wir zu denjenigen, die diese Dinge mit in den Offline-Modus oder gar ins Bett nehmen, sollten wir etwas dagegen tun. Solche negativen und fruchtlosen Auseinandersetzungen belasten uns unterbewusst mehr, als wir glauben. Sie beeinflussen den Gemütszustand, drücken auf die Seele und wirken sich ebenso auf unsere körperliche Gesundheit aus. Doch wie können wir dem vorbeugen? Schließlich ist die digitale Welt ein wesentlicher Teil von uns und soll es bleiben.

1. Mit Bewusstsein gegen Stimmungsmache

Wie in vielen weiteren Lebensbereichen ist das bewusste Betrachten einer Situation auch im Internet oft der Schlüssel zur Lösung. Häufig stecken wir jedoch derart in unserer Wahrnehmungsblase fest, dass wir nur noch auf die Bälle reagieren, die uns andere Personen zuwerfen. Merken wir, dass ein Chat uns emotional übermäßig trifft und Wut/Ärger auslöst, zählen wir bis drei, legen dann das Smartphone, Tablet oder Laptop sofort beiseite und stehen auf. Wir laufen ein paar Schritte hin und her, atmen dabei tief durch. Anschließend setzen wir uns wieder hin und lesen die Sache noch einmal durch. Ob wir nun auf den Kommentar antworten oder nicht, hängt von Punkt 2 ab.

Gut zu wissen: Das Vorgehen können wir uns angewöhnen, auch wenn es anfangs ungewohnt ist. Irgendwann wird es zum Ritual und wir machen es automatisch – dann ist es im Unterbewusstsein angekommen und verankert.

2. Don´t feed the troll

Es gibt einige User, die nur darauf aus sind, zu provozieren. Ob ein sinnvoller Austausch möglich ist oder es sich nur um Stimmungsmache handelt, merken wir recht schnell, wenn wir einen bewussten Blick auf die Kommentare werfen (Punkt 1). Ignoriert der- oder diejenige jegliche Argumente, ist aggressiv und beleidigend, sollten wir die Auseinandersetzung sofort abbrechen. Denn eines ist in dieser Situation sicher: Wir werden diese Person nicht von unserem Standpunkt überzeugen, völlig egal, was wir tun. Das ist verschwendete Lebenszeit. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir antworten einfach nicht mehr (was vielen sehr schwerfällt, da es ihnen wie eine Niederlage erscheint) oder wir beenden die Sache mit einem neutralen Abschlusssatz wie: „Für mich macht die Diskussion mit dir keinen Sinn, ich wünsch dir alles Gute.“

Gut zu wissen: Mit einem Messer können wir jemanden verletzen oder einen Apfel schneiden – in beiden Fällen liegt die Verantwortung bei uns als Anwender, nicht beim Messer. In der digitalen Welt sieht es ähnlich aus. Wir allein sind für unsere seelische Gesundheit im Netz zuständig, sonst niemand. Das Verhalten der anderen können wir nicht ändern, aber unsere Reaktion darauf.

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Tara Riedman, Autorin, Trainerin & Coach

ÜBER DIE AUTORIN

Tara Riedman ist Online-Redakteurin, Texterin und Autorin im Unterhaltungs-/Sachbuchbereich. Darüber hinaus leitet sie als freiberufliche Trainerin Selbstschutzkurse für Frauen sowie die von ihr ins Leben gerufenen sicowu-Kurse (sicowu – sicher, cool & selbstbewusst) für Kinder und Jugendliche.

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